Derzeit leben über acht Milliarden Menschen auf der Erde, mehr als die Hälfte davon in Städten – Tendenz steigend. Neue Ideen und Formen des Zusammenlebens und Wohnens sind gefragt – von der Architektur, der Politik und letztlich der gesamten Bevölkerung. Vor allem geht es dabei schon längst nicht nur um Wohnen im eigentlichen Sinne, sondern um das Zusammenspiel von Mensch, Natur und Gesellschaft. Innovative Konzepte müssen heute nachhaltig sein, vor allem in Sachen Energie möglichst autark und gleichzeitig sozial verträglich, erschwinglich und dennoch Komfort, Individualität und Selbstbestimmtheit ermöglichen. Wir haben uns umgesehen und einige Trends wie die Vision einer Öko-Stadt in Indien, das Plusenergiehaus, die Treescrapers oder autarke Häuser und den Wohnwagon unter die Lupe genommen und festgestellt: Das sind ja wunderschöne Aussichten!

Bis vor rund 12.000 Jahren lebten die Menschen als Jäger und Sammler ohne festen Wohnsitz. Mit der einsetzenden landwirtschaftlichen Revolution begann der Wohnraum an Bedeutung zu gewinnen. Seither bevorzugen Menschen feste Behausungen zum Schutz vor Witterung, zur Sicherheit, für die Zubereitung und Lagerung von Nahrung, aber auch für Repräsentationszwecke. Das Bedürfnis nach Wohnung und Unterkunft zählt neben Nahrung, Wasser und Kleidung zu den wichtigsten Grundbedürfnissen der Menschen. Unser heutiger Begriff „Wohnen“ geht auf das althochdeutsche „wonên“ zurück und bedeutet so viel wie „zufrieden sein“ oder „bleiben“

Lebten früher vor allem Familien gemeinsam in Wohnungen, nimmt der Wohnungsengpass heute durch die Einpersonenhaushalte und alternative Wohngemeinschaften zu. Je mehr Menschen auf der Erde lebten, umso knapper wurde auch der Wohnraum. Mit dem Entstehen großer Ballungszentren und Städte kannte man schon im Mittelalter das Problem der Wohnungsnot. Architekten versuchten deshalb schon damals, das Problem zu lösen, indem sie in die Höhe bauten. Aber die Materialien begrenzten die Bemühungen.

Erst durch Erfindungen wie den Stahlskelettbau oder den Aufzug gegen Ende des 19. Jahrhunderts war man in der Lage, Häuser über zehn Stockwerke anzufertigen. Heute ist das höchste Haus der Burj Khalifa in Dubai mit über 160 Stockwerken und einer Höhe von 828 Metern. Dabei handelt es sich aber um Prestigeobjekte, die sich für das Wohnen der Zukunft kaum eignen.

Nützlicher Lebensraum

Die wirklichen Innovationen sind Konzepte, die das Zusammenspiel von Mensch, Natur und Gesellschaft ermöglichen. Sie sind nachhaltig, energieautark und bieten dennoch gleichzeitig Komfort und Individualität. Nachhaltigkeit meint dabei, die Ressourcen und die Umwelt zu schonen – ohne den Wert des Wohnraums oder die Lebensqualität zu zerstören. Wichtig sind dabei auch die Aspekte Energieeffizienz, Raumaufteilung sowie Raumklima. Vor allem bei der Frage der Energie brauchen wir beim Thema Wohnen ein Umdenken. Nicht nur, weil fossile Brennstoffe irgendwann ausgehen, der CO2-Ausstoß ist nach wie vor weltweit ein Problem und muss drastisch gesenkt werden.

Irland nimmt hier als erstes Land im Kampf gegen den Klimawandel eine Vorreiterrolle ein und veranlasst den irischen Staatsfonds, alle Investitionen in fossile Brennstoffe zu stoppen. Das Bewusstsein im Wohnungsbau geht in den letzten Jahren somit immer mehr zu nachhaltigen Energiekonzepten und Umweltschutz. Häuser müssen ihren Energieverbrauch drastisch reduzieren, im besten Fall sogar Energie produzieren. Eine Lösung sind Niedrigenergiehäuser, die einen sehr geringen Energiebedarf an Heizwärme und Warmwasseraufbereitung haben. Das Sparpotenzial wird vor allem durch eine stark verbesserte Wärmedämmung erreicht.

Das Passivhaus hingegen kommt durch ein optimiertes Zusammenspiel von Lüftung, Wärmedämmung und Sonneneinstrahlung auf den Fenstern ganz ohne Heizung aus und gilt als konsequente Weiterentwicklung des Niedrigenergiehauses. Das Optimum ist aber das Plusenergiehaus. Es ist eine Weiterentwicklung des Passivhauses, aber es produziert mittels Sonnenkollektoren und Wärmespeichern mehr regenerative Energie, als gebraucht wird – und auch noch emissionsfrei.

Das autarke Dorf der Türme

Ein ähnliches Konzept, aber auf eine Kleinstadt umgelegt, entsteht gerade in Indien: Hyperions. Dabei handelt es sich um eine Art in die Höhe gebaute, autarke Siedlung in der Nähe von Neu-Dehli. In den sechs 128 Meter hohen Türmen wird es rund 1.000 Wohnungen, Büros und Co-WorkingSpaces geben. Spätestens 2022 soll das Projekt fertiggestellt sein. Den Name Hyperion hat man von einem Küstenmammutbaum in Kalifornien abgeleitet, der als der höchste der Welt gilt. Masterminds dieser Lösung sind der indische Agrarökologe Amlankusum und die Städteplanerin Kamalesh, seine Frau. Sie wollen die Stadt in eine Wildnis verwandeln, sie mit Leben füllen und zu einer Natur-Stadt machen.

Die sechs Türme bestehen zu 75 Prozent aus natürlichem Material, hauptsächlich Holz aus einem nahe gelegenen und nachhaltig aufgeforsteten Wald. Nur für das Fundament und Grundgerüst sind Beton und Stahl nötig, auch um die Türme erdbebensicher zu machen. Zudem muss die Struktur brandresistent sein und einen guten Schallschutz sowie Wärmeisolation bieten.

Hyperions soll fast komplett autark sein und sogar mehr Energie produzieren, als die Bewohner verbrauchen. Dafür sorgen Solarzellen an Turmfassaden, auf Balkons und Dächern. Zusätzliche Energie wird aus organischen Abfällen und aus Windlampen-Pfosten gewonnen. Letztere beleuchten die Wege mit Energie, die mithilfe von an den Pfosten angebrachten Windturbinen gewonnen wird.

Der Wasserverbrauch in dem Quartier soll rund 90 Prozent unter dem Durchschnitt liegen – trotz natürlichem Swimmingpool. Regenwasser wird aufgefangen und zu Speichern weitergeleitet. Ein Recycling-System lässt Wasser in Gärten und auf Balkons fließen, wo Obst und Gemüse wachsen. Für die Beheizung und die Klimatisierung wird Luft durch ein System von Windschloten in das Innere des Komplexes geleitet und unterwegs durch die Erdwärme je nach Jahreszeit und Lufttemperatur entweder abgekühlt oder aufgewärmt.

Ein Wald aus Wolkenkratzern

Wie die nachhaltigen Hochhäuser Architektur mit Natur vereinen und das Wohnen im Grünen auch auf kleinstem Raum ermöglichen, zeigt das Projekt der „Treescrapers“ (Baumkratzer in Anlehnung an den Begriff Wolkenkratzer). Durch sie können die Städte zu grünen Oasen verwandelt werden. Denn die modernen Baumhäuser ermöglichen das Leben mitten in der Millionenstadt und gleichzeitig im Wald. Erfunden wurden die „Treescrapers“ von der Architekturinitiative der Stiftung OAS1S. Sie sind den Entwürfen nach jeweils sechs Meter breit und lang sowie zwölf Meter hoch – also etwa so groß wie Bäume.

Die vier Stockwerke werden komplett aus Recyclingholz gebaut, rundherum begrünt und dazu ausschließlich mit Naturmaterialien gedämmt. Zudem sammeln sie Regenwasser sowie Sonnenenergie und geben dank der Bepflanzung Sauerstoff an die Umgebung ab. Nachhaltiges Wohnen ist durch 100-prozentige Unabhängigkeit gewährleistet. Solaranlagen auf den Dächern sowie eine Warmwasserpumpe versorgen das Gebäude mit ausreichend Strom und Wärme. Doch sie haben auch einen zusätzlichen Nutzen als Bäume: Sie reinigen die Luft, spenden Schutz und bieten Nahrung.

Schwimmende Häuser und „Müll“ als Baustoff

Globale Klimaerwärmung und auch die Armut in den Ländern der Dritten Welt zwingen zu neuen Formen des Bauens. Schwimmende Häuser sind besonders in Holland ein Thema, um der stetigen Hochwassergefahr zu begegnen. Die Häuser schwimmen quasi direkt auf dem Wasser und können mit dem Hochwasser aufsteigen. In ärmeren Ländern sind vor allem die Kosten ein zentrales Thema. Nach einem Fest in Honduras kam der deutsche Zimmermann Andreas Froese auf den Gedanken, die weggeworfenen PET-Flaschen, gefüllt mit Bauschutt und Erde, zum Hausbau zu verwenden. Vermauert mit Mörtel ergeben sie eine alternative, kostengünstige Upcycling-Variante.

Auch Michael Reynolds hat ein alternatives Konzept entwickelt, um rasch Wohnraum aus Abfällen zu schaffen. Er ist der Erfinder des „Earthship“ – einem ausgeklügelten Haussystem, das nur aus Abfällen der Zivilisationsgesellschaft entsteht und völlig autark bezüglich Wärme, elektrischer Energie, Wasser und Abwasser ist. Die Wände sind aus mit Erde gefüllten Autoreifen, Glasflaschen und Blechdosen und dienen als thermischer Speicher, so dass keine Heizung benötigt wird. Er ist nicht mehr Architekt und nennt sich nun „Biotekt“ – und das zu Recht.

Nachdem Michael Reynolds schon nach einigen Naturkatastrophen, wie z.B. nach dem Tsunami in Asien oder dem Erdbeben in Haiti, schnell zur Stelle war, um betroffenen Obdachlosen eine neue Wohngelegenheit zu ermöglichen, sieht er nun auch in Europa mit seinem „Earthship“ eine Methode, wie sich syrische Flüchtlinge ein neues Zuhause schaffen können.

Die Freiheit ruft – autarke Wohnmodelle sind gefragt

Immer mehr Menschen wollen möglichst unabhängig von Energieversorgern sein. Technisch möglich ist das bereits. Timo Leukefeld, ein deutscher Solartechnikunternehmer hat sein Eigenheim so konzipiert, dass es sich eigenständig mit Strom und Wärme versorgt. Rund 90.000 Euro entfielen dabei auf die Technologie für die Autarkie. Die Energie kommt von der Sonne und einer Solar thermieanlage auf seinem Dach.

Das damit beheizte Wasser wird in einem Wassertank für die kalten Winter gespeichert. In Jahren mit guter Witterung reicht der Sonnenstrom, um auch das Elektroauto zu betanken. Für die sonnenarmen Wintermonate ist es aber sinnvoll, einen Stromanschluss zu haben, um Energie zukaufen zu können – auch Leukefeld musste es tun, wenn auch oft nur wenige Kilowattstunden. Eine komplett autarke Struktur wäre auch heute schon möglich – aber die letzten Prozent zur 100-Prozent-Autarkie wären überproportional teuer.

Das Prinzip Autarkie steht auch beim Team von Wohnwagon im Mittelpunkt der Überlegungen. Seit fünf Jahren plant, baut und verfeinert Ideengeber Christian Frantal aus Wien mit seinem Team das Konzept eines Mikrohauses mit EnergieAutarkie-Philosophie. Der Startschuss gelang 2012 mit dem durch Crowdfunding finanzierten Prototyp „Oskar“. Zehn Stück wurden schon gebaut, weitere zehn sind in Planung und ständig kommen neue Anfragen nach autarken Einfamilienhäusern.

Komfort & Design auf kleinstem Raum

Wichtig ist, Wohnkomfort und den achtsamen Umgang mit der Natur ohne Anbindung an die notwendige technische Infrastruktur zu vereinen. Das Ziel ist, einen geschlossenen Wohnkreislauf zu kreieren – nachhaltig und mobil, aber auch top vom Design her. Die Außenwand des Wohnwagons besteht aus Lärchenholz. Dieses ist besonders harzhaltig. Das macht das Holz auf natürliche Weise sehr widerstandsfähig.

Die Harze und Öle wirken antibakteriell und schützen vor Motten und anderen Insekten. Eine Photovoltaik-Anlage versorgt das mobile Zuhause ganzjährig mit Strom, eine SolarZentralheizung verhilft zu Wohnkomfort und heißem Wasser. Das Flachdach übernimmt gleich mehrere Funktionen: Die Sumpfpflanzen dienen als Pflanzenkläranlage für das Brauchwasser, die Terrasse ist exklusive Wohnraumerweiterung und durch die Verdunstung am Dach kann ein zusätzlicher Kühleffekt im Sommer erzielt werden. Eine eigene Bio-Toilette garantiert unabhängiges, ökologisches Wohnen.

Die Größe eines Wohnwagons beträgt – je nach Ausbaustufe – zwischen 15 und 33 Quadratmetern, bietet aber auf jeden Fall einen vollwertigen, natürlichen Wohnraum. Ein weiterer Vorteil des autarken Wohnwagons ist der Ort, wo man ihn aufstellen möchte. „Denn ein Baugrund mit Strom-, Gas- und Kanalanschluss wird nicht benötigt“, erklärt Christoph Raz, Experte für Baurecht bei Wohnwagon.

Letztlich muss man in der Praxis aber immer mit der Gemeinde oder dem Bürgermeister ein Einvernehmen treffen, denn einheitliche Regeln für das Aufstellen gibt es noch nicht. Möglich wären aber die grüne Wiese, der Waldrand oder das Seeufer. Entweder ist der Wohnwagon sowieso mobil oder er wird mit Traktor und Lastwagen einfach umgezogen – so oft und wohin man will. Selbstbestimmung wird aber bei Wohnwagon prinzipiell groß geschrieben. Auch ein Workshop zum Selberbauen wird angeboten. „Kooperation ist uns wichtiger als neoliberale Konkurrenz“, erklärt Christian Frantal.

Einbaumhaus mit natürlichem Zugang

Eine andere revolutionäre Art des Bauens hat der Kärntner Baukünstler Wolfgang Lackner vorgestellt. Die Natur selbst soll dabei zum Wohnraum werden. Das Einbaumbaus, so der Name dieses neuen Konzepts, besteht aus rein biologischen, möglichst unbearbeiteten Materialien und aus nachwachsenden Rohstoffen und bleibt so quasi selbst ein Stück Natur.

Es richtet sich „gegen den klassischen Bauwahn mit all seinen Normen“ und leistet einen aktiven Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz. Bei diesem Low-Impact-Haus existieren keine geraden Mauern und auch keine Ecken. Das Interieur besteht im Wesentlichen aus einem Raum. Anstatt herkömmlicher Zimmer bieten Kokons Platz und Ruhe für einen gesunden Schlaf.

Wie sich das Einbaumhaus ausformen wird, hänge vor allem von den Wünschen und Vorstellungen der zukünftigen Bewohner ab. Die spezielle Bauweise und die Materialien, die bei der Errichtung eines Einbaumhauses verarbeitet werden, schonen die Umwelt und fördern das Wohlbefinden und die Gesundheit seiner Bewohner.

Denn die mit Lehm verputzten Strohwände bieten eine optimale Wärmedämmung und wirken sich auch positiv auf das gesamte Raumklima aus. Die Mindestlebensdauer soll trotzdem 100 Jahre betragen und danach entfallen die Kosten für die Bauschuttentsorgung. Denn das Haus kompostiert vor Ort zu wertvollem Humus.

Wunderbare Aussichten

Eines zeigt sich bei allen Projekten: Egal, ob Wohnturm, Treescraper oder autarkes Wohnprojekt – die Menschen sind auf der Suche nach Selbstbestimmtheit, Freiheit und Natur. Schön, dass Wohnen auch ohne Eremitendasein im Einklang mit der Natur immer mehr möglich wird – und dabei selbstbestimmt, energieautark und nachhaltig sein kann.

 

Infos, Links & Quellen:

vincent.callebaut.org (Hyperions)
oas1s.com (Treescrapers)
earthship.com
wohnwagon.at
einbaumhaus.at
planet-wissen.de
photovoltaik.one

 

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